Brahms/Schönberg

Klaviertquartett g-moll op.25                       Bundesjugendorchester 2009

Text: Peter Hirsch

Was Schönberg mit seiner Bearbeitung wollte: „Ich wollte einmal alles hören“ („weil“, so schreibt er in einem Brief an den San Francisco Chronicle, „der Pianist desto lauter spielt, je besser er ist, und man nichts von den Streichern hört“). Weiter heißt es dort u.a.: „Meine Absichten: 1. Streng im Stil von Brahms zu bleiben und nicht weiter zu gehen, als er selbst gegangen wäre, wenn er heute noch lebte. 2. Alle die Gesetze sorgfältig zu beachten, die Brahms befolgte.“ Um die Hörbarmachung der Struktur, des Kontrapunkts also ist es ihm gegangen. „Und das habe ich erreicht“, fügt er hinzu. Ohne Zweifel! Was aber ereignet sich darüberhinaus in dieser Instrumentation? Was HÖREN wir wirklich, wenn wir „alles hören“? Die Frage geht zunächst zurück an Brahms. Was tut er hier? Ähnlich wie etwa im Klavierquintett, das sich seiner Bestimmung - d.h. seiner Besetzung - nie ganz bewußt geworden ist, haben wir es auch hier mit symphonischem Denken auf gleichsam vorsymphonischer Stufe zu tun. Einerseits weist das Material allerorten weit in symphonische Dimensionen hinaus. Andererseits verknüpft Brahms die verschiedensten Stränge dieses Materials oft auf engstem Raum, gestattet kaum je ein Aussingen, führt Steigerungen in kürzester Zeit ihren Höhepunkten zu. Überall Verdichtung statt symphonisch-epischer Ausbreitung. Diese gedrängte musikalische Architektur, die in der Überschaubarkeit des Kammermusiksatzes noch vermittelt erscheint, wird bei Schönberg unmittelbarer Ausdruck. Gegensätze stoßen oft hart aneinander, formulieren ein symphonisches Ganzes, das immer wieder die eigene Form zu sprengen droht. Ins Licht Mahlers getaucht enthüllt die Musik mitunter ihr verborgenes, wie im Keim eingesenktes Innerstes. So ist etwa der „Tranquillo“-Schluß des ersten Satzes von einem solchen „Der-Welt-abhanden-gekommen-Sein“, wie es keine Kammermusikaufführung herzustellen vermöchte. Darüberhinaus gibt es auch ganz bewußte Setzungen Schönbergs wie den Höhepunkt des ‚Alla marcia‘ im dritten Satz. Alles diesem Marsch durchaus auch eingeschriebene Teutonische treibt Schönberg ihm gründlich aus - nicht durch Entschärfung sondern im Gegenteil durch Anspitzung bis zur Grotesken. Urplötzlich erfährt die Musik einen Umschlag ins Katastrophische, auf den sie gleichsam nicht vorbereitet war, und der die Rückkehr in die Reprise des Satzes fast verunmöglicht. Schlagartig wird deutlich, wann und wo diese Instrumentation entstand: In Amerika, 1937. Schönbergs wehmütiger Blick zurück ins alte, sich auflösende Europa wird für Sekunden zur prophetischen Untergangsvision.

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