L.Nono: Variazioni canoniche

L.Nono: Variazioni canoniche sulla serie dell‘op.41 di Arnold Schönberg

Zürich 2008

Text: Peter Hirsch

„Ich wußte, daß es eine moralische Plicht der Intellektuellen war, gegen die Tyrannei Stellung zu beziehen.“ Dieses Zitat des jungen Nono macht deutlich, daß es natürlich kein Zufall ist, daß den „Variazioni canoniche“, die er als sein op.1 gelten ließ, gerade die Reihe aus Schönbergs „Ode an Napoleon“ zu Grunde liegt, jenem Werk, das zusammen mit dem „Überlebenden aus Warschau“ zu Schönbergs explizit antifaschistischen Werken gehört. Variationen also nicht über ein Thema sondern eine Tonreihe. Eine Reihe freilich, die besonders charakteristisch ist: Sie besteht nur aus kleinen Sekund- und großen Terzschritten; die zweite Hälfte der Reihe ist der ganztonversetzte Krebs der ersten 6 Töne. Zu den Freiheiten im Umgang mit der Reihentechnik, die Nono sich schon hier nimmt, gehören u.a. unorthodoxe, weitgespannte Oktav-Verdoppelungen; er variiert Segmente und intervallische Charakteristika der Reihe, die in ihrer Gänze erst im zweiten Abschnitt -  zunächst im Hintergrund in Klarinetten und Streichern - sowie im letzten Teil als erkennbare Harfen-Flageolet-“Melodie“ erscheint; wie eine Signatur: verborgen zunächst, am Schluß deutlich erkennbar, im verlöschenden diminuendo. Das Orchester erscheint niemals auftrumpfend kompakt, vielmehr ist es nach Instrumentengruppen in „Chöre“ aufgeteilt, die mit ihrer spezifischen Klangfarbe die vier in Tempo und Ausdruck klar unterschiedenen Teile definieren. Diese klangfarbliche „Mehrchörigkeit“ verbindet die Variazioni mit dem unmittelbar darauf entstandenen, nachgelassenen „Fucik“-Fragment sowie der „Compositione per orchestra“ zu einer bemerkenswerten Trias von Orchesterwerken, mit denen Nono seine Kompositionslaufbahn beginnt, und die alle vom selben Geist der „resistenza“ erfüllt sind; diesen nicht illustrierend sondern subtil und ‚neu‘ künstlerisch verarbeitend.
In einer späteren Aussage Nonos heißt es:
„Eine Auffassung der Musik, in der jeder Vorgang in sich selbst abgeschlossen ist, ist mir vollständig fremd - auf das tägliche Leben übertragen hieße es, daß jeder Mensch sich selbst genügte und nur sich selbst verwirklichen sollte. Meine Meinung ist jedoch immer gewesen, daß ein Mensch sich nur durch die Beziehung zu den andern, zur Gesellschaft verwirklichen kann. In meinen ersten Stücken sind die einzelstehenden Noten nicht wichtig; es kommt nicht auf die Höhen der Noten an, sondern auf ihre Beziehungen zu den musikalischen Figuren, die sie umgeben.“ Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher ästhetischen Gewißheit Nono sein erstes Orchesterwerk, im Alter von 26 Jahren, mit einem unendlich langsamen, zwischen pp und ppp wankenden „Largo vagamente“ beginnt, das schon nach vier Takten im Tempo noch mehr zurückgenommen wird, sich gleichsam in sich selbst verliert. Es gibt kaum ein Beginnen, es gibt nur ein Zögern, das die Einzeltöne, die zugleich ‚Gesellschaftswesen‘ sind, und die Spannung der Intervalle zwischen ihnen zu höchstem Ausdruck verdichtet. Eine Ahnung von „suono mobile“, einer Bewegung gleichsam unter der Wasser- d.h. Klang-Oberfläche, wie er sie in seinen späten Werken immer wieder thematisiert hat. Die Partitur ging nach der Uraufführung im Jahr 1950 verloren und wurde von Nono selbst nach dem erhaltenen Orchestermaterial im Jahr 1985 wiederhergestellt - „com‘era“, wie sie war, mit kleinsten als solche auch gekennzeichneten Zusätzen. Nicht zufällig gehören zu diesen Zusätzen vor allem weitere Pausenfermaten auf Taktstrichen...

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