Mahler VII.

Bayreuth 2001

Text: Peter Hirsch

Mahlers 7.Symphonie, geschrieben 1904/05, ist ein Werk der Ambivalenz. Einerseits weist es weit ins 20.Jahrhundert voraus, etwa mit seinen collageartigen Verknüpfungen heterogener Elemente oder den oft filmschnittartigen ‚Szenenwechseln‘. Andererseits sucht es immer wieder den Rückblick in die Vergangenheit. So stehen sich gleich zu Beginn des 1.Satzes, im einleitenden Trauermarsch, moderne Quartenharmonik und die seltsam altmodische Klangfarbe des Tenorhorns gegenüber. Der Satz ist einer der komplexesten, die Mahler geschrieben hat. Der Aufstand, in den er sich stürzt, findet keine Überwindung. Am Ende steht wieder der Kondukt, diesmal alarmierend. In all dieses hineinverwoben und doch fast wie eine Insel: die plötzliche Ahnung eines verströmenden Adagios.
  Die Welt der drei Nachtmusiken - denn auch das Scherzo spielt
nachts - ist nicht die romantischer Notturni. Vielmehr nächtlich imaginierte Erinnerungen an ein so Nicht-Gewesenes; Vergangeneheitsbeschwörungen mit falschem Vorzeichen; Rückschau wie durch altersblinde Spiegel. Die 1.Nachtmusik - eine imaginäre Prozession. Selbst die Herdenglocken, naturalistisches Relikt einer konkreten Naturerfahrung, werden transformiert zu einer zarten, vor-webernschen Hinterglasmusik. Das Unwirkliche wird zum Eigentlichen. Ständiges Vexierspiel zwischen Dur und Moll. Vogelstimmen. - Das Schattenhaft-Getriebene des Scherzos macht seine Ländler und Walzer zu Erynien. Lediglich das Überschlag-Motiv des Trios ist ein letztes Innehalten vor dem Tanz auf dem Vulkan: Fanal für die atemlos kreisende Wiederkehr des Immergleichen. - Das besondere Klangkolorit der Mandoline und Gitarre des 4.Satzes verweist auf ein Kammerspiel. Der Intimität dieser kammermusikalischen 2.Nachtmusik entspricht es, daß misterioso-Abgründe in ihr ebenso Raum haben wie ein plötzlicher Anklang an „jene Höhn“ der Kindertotenlieder.
  Das „ordinario“ hinter dem Allegro des Finales ist ein Wortspiel: nicht nur Tempoangabe gemäß klassischer Definition sondern auch Hinweis auf die absichtsvolle ‚Gewöhnlichkeit‘ dieses Allegros, in dem die Seitenthemen wichtiger und ‚eigentlicher‘ erscheinen als alles immer wiederkehrende Tosen und Brausen. Und doch sind diese Dreiklangsfanfaren wie Fenster: das ‚gewöhnliche‘ Glas, durch das hindurch wir erst auf alles andere - Schöne und Geheimnisvolle- schauen. Schließlich soll Glockengeläut den Durchbruch bringen - allein: der Wiedereintritt des Hauptthemas des ersten Satzes, nach Bruckners Art, ‚mißlingt‘. Der Orgelpunkt rutscht ab, die Musik gerät an den Rand der Auflösung... und eben dadurch erst gleichsam zu sich selbst.- Da heraus hilft nur noch glockenübertöntes Augen-zu-und-durch, Achterbahn und Schlußkarussell.

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