Wie ein Lorca aus dem achtzehnten Jahrhundert

11.01.1987

Wiesbadener Kurier

Jürgen Gosch inszeniert Mozarts Oper „Le Nozze di Figaro“

Nichts ist mehr, wie es einmal war. Das Verwirrspiel um Figaros Hochzeit, die Lehrstück von Liebe, Eifersucht und Fallenstellerei, hat Jürgen Gosch aller gewohnten Buntheit, aller pittoresken Konvention entkleidet und auf die Kontrastschärfe des Scherenschnitts gebracht. Aus der Illusion des Realismus hat er das Intrigenspiel befreit und in eine andere, künstlich beatmete Wirklichkeit eines an Hilfskrücken armen Theaters überführt. In der Raumabstraktion einer radikal entrümpelten Szene, die jedes wohnliche Interieur im alten Schloß verweigert; die weder Domestikenzimmer noch gräfliches Gemach, weder kleines Kabinett noch lauschigen Alkoven zeigt, sondern den Blick des Zuschauers auf kahle weiße Leinwand prallen läßt...
Daß sich in den einheitlich schwarzen Kostümen (...) ein stilisiertes Settecento andeutet, steht zu Goschs Zeitenthobenheit nicht im Widerspruch, sondern im belebenden Kontrast. Entspringt doch aus dieser harten Schwarz-Weiß-Zeichnung jener bedrückend-lastende, bissig-leidenschaftliche Spaniencharakter, wie er nach der geläufigen Theatervorstellung eher in Garcia Lorcas kritisch portraitierenden Gesellschaftsstücken als in Mozarts Opera buffa ausgeprägt ist. Hier hat hat das Auge des Schauspielregisseurs Gosch (...) offenkundig genauer hingeblickt. Sein choreographisch bestimmtes Hell-Dunkel treibt aus jeder Figur erst die Buntheit ihres Wesens hervor. ...
Den Stempel des Ereignishaften aber drückte dieser italienisch gesungenen Aufführung das durchweg exzellente musikalische Niveau auf. Mit schmiegsamer melodischer Kontur und elastisch federndem Rhythmus dirigierte der junge Kapellmeister Peter Hirsch, der bisher nicht nur an Partituren von Nono und Zender avantgardistische Kompetenz, sondern auch an Opern von Donizetti und Berg, Tschaikowsky und Smetana eminente Musikalität bewiesen hat. (...) Peter Hirschs Mozart-Ideal zielt in die Nähe von Fritz Buschs legendärem Vorbild: der Pulsschlag ist rasch, doch nie nervös, und jedem bangen Hoffen, jeder freudig-ängstlichen Beklommenheit lauscht er nach. Dabei hält er Hörner und Trompeten wenn nötig zu Harnoncourtscher Schärfe an und läßt Streicherakzente markanter ausführen, als sie das traditionelle Instrumentarium erwarten läßt. Glücklich wirkte die Wahl eines Hammerklaviers für die empfindsame Rezitativbegleitung. ...

Zurück